Im Café Moskau in Berlin fand am 10.05. unter anderem die letzte Podiumsdiskussion der Informare! 2012 statt, auf der es um die Frage ging, welche Marktmodelle von Open Access sich in Zukunft durchsetzen werden. Auf dem Podium sassen Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaftsverlagen, der Bibliothek der Universität Konstanz, der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie der Max Planck Gesellschaft. Grundsätzlich war die Diskussion von einem grösseren Verständnis geprägt, als dies noch vor einigen Jahren möglich gewesen wäre. Insbesondere die Verlage akzeptierten, dass sie eine mögliche Rolle in der Distribution von Open Access übernehmen können, aber weder pochten sie darauf, die einzige sinnvolle Einrichtung dafür zu sein, noch wurde – im Gegensatz zur diesjährigen Bielefeld-Konferenz – das falsche Bild von den Verlagen und Bibliotheken, welche angeblich in einem Boot gegen Amazon und Google sitzen würden, bemüht. Selbstverständlich: Man kann sich immer noch mehr wünschen. (So wartete man vergeblich darauf, dass jemand mal laut sagt, dass es in der Wissenschaftskommunikation um Distribution geht und deshalb nicht, wie die Verlagsvertreterin und der Verlagsvertreter beständig einforderten, die Kostenanalyse von Angeboten im Vordergrund stehen muss. Ausserdem wurde mehrfach betont, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler forschen sollten und nicht sich damit beschäftigen, Texte zu verbreiten – was schon die Frage aufwirft, wie sich auf dem Podium wissenschaftliche Arbeit vorgestellt wird. Aber wie immer war das Format so, dass die Diskussion mit dem Publikum einfach zu kurz kam.)
Ein anderer interessanter Aspekt der Podiumsdiskussion war, dass in der zweiten Hälfte beständig Bilder benutzt wurden, um Sachverhalte zu vermitteln, die nicht stimmten. Es war schon klar, was gesagt werden sollte, aber immer wieder zuckte man betroffen zusammen, wenn man kurz über das Bild nachdachte. Der Verlagsvertreter zog beispielsweise Luhmanns Systemtheorie heran, um die Aufgabe von Verlagen zu begründen. Wir würden uns in einer zunehmend funktional differenzierten Gesellschaft befinden, deshalb sei es normal, wenn Systeme wie Verlage entständen, die eine Funktion (besser) übernehmen würden, als andere. Dieses Bild ist eher gefährlich, da man eigentlich sofort weiter denkt: Müssten dann diese Systeme – immer der Systemtheorie folgend – nicht auch zu immer mehr in sich abgeschlossenen und mit der autopoetischen Reproduktion ihrer selbst beschäftigten Systeme werden? Interessanterweise erschien es nämlich genauso: Als würde sich ein eigenes autopoetisches System der Wissenschaftskommunikation etablieren, dass zwar Open Access als Modell integriert hat, aber gleichzeitig sich immer mehr abgrenzt (ohne ausschliessend sein zu wollen, selbstverständlich).
Auf dem Podium wurde ein sich herausbildendes Publikationssystem beschrieben, dass gleichzeitig die Tendenz erkennen lässt, einen grossen Teil der geleisteten Forschung zu ignorieren. Letztlich scheint Forschung verengt zu werden auf Forschung an Universitäten und grossen Forschungseinrichtungen, wobei die Beteiligung anderer Einrichtungen nicht explizit ausgeschlossen wird, aber im Ergebnis grösstenteils dennoch nicht stattfindet. Die an der Praxis orientierte Forschung, wie sie vor allem an den Fachhochschulen – egal ob in Deutschland oder der Schweiz – oder in KMUs betrieben wird, wird eventuell in diesem Publikationssystem nicht mehr vorkommen. Ebenso werden Forschende ausserhalb der grossen Forschungseinrichtungen (egal, ob sie nun an Fachhochschulen tätig sind; privat Forschung betreiben, in NGOs arbeiten oder sich gerade „in einer Phase der beruflichen Neuorientierung befinden“, aber das Forschen nicht sein lassen wollen) nicht in diesem System integriert sein.
Das geschilderte System könnte sich wie folgt entwickeln:
- Die Verlage bieten unter anderem mehrere Open Access Modelle an, bei denen irgendwer anders die Kosten übernimmt (beispielsweise mit einem Publication Fee oder durch eine Fachgesellschaft).
- Forschungsfördereinrichtungen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft oder der Schweizerische Nationalfonds sowie finanzstarke Forschungeinrichtungen wie die Max Planck Gesellschaften stellen Mittel zur Verfügung, um diese Publication Fees zu tragen. Auf diese Mittel können geförderte Projekte zurückgreifen.
- Die Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen, welche sich das leisten können, betreiben institutionelle Repositories, auf denen die Angehörigen der Einrichtungen ihre Arbeiten auch publizieren können.
- Die Forschenden haben die Möglichkeit, auszuwählen, wie und wo sie lieber publizieren: Open Access auf den Repositories oder, gefördert, mit Publication Fees; oder aber auch mit Closed Access.
Ein solches System, falls es sich etabliert, wird besser sein als die jetzige. Nur: Es wird eigentlich nur offen sein für die Forschenden, die an Universitäten und grossen Forschungseinrichtungen tätig sind.
- Bei den Repositories ist der Effekt sehr einfach vorherzusehen: Sicherlich ist das Aufsetzen eines solchen heute nicht das grosse Problem. Technisch kann dass auch die kleinste NGO oder Fachhochschule. Aber: Wahrgenommen werden Repositories, die viele Objekte enthalten, aktuell gehalten sind und zum Teil auch aktiv beworben werden. Dies können grosse Einrichtungen – also vor allem die grossen Universitäten, die Eidgenössischen Technischen Hochschulen, die Forschungsgemeinschaften – weit besser leisten. Beispielsweise: da, wo mehr Personen forschen, fallen auch mehr Publikationen an. Ob ein Repository, welches von einer Fachhochschule oder einer NGO betrieben wird, jemals damit mithalten kann, ist doch zu bezweifeln.
- Der Zugang zu den Forschungsförderungen, welche Publication Fees beinhalten, ist fast ausschliesslich den Angehörigen der Universität, Eidgenössischen Technischen Hochschulen und Forschungsgemeinschaften vorbehalten. Die Förderungswege, mit der beispielsweise Fachhochschulen ihre Forschungen finanzieren, enthalten solche Förderungsmöglichkeiten sehr selten. Die Forschung in den Fachhochschulen wird hauptsächlich als praxisbezogen verstanden und auch so gefördert. Oft zahlen auch KMUs für diese Forschung. Dabei sind sie dann selbstverständlich vor allem an praktisch verwertbaren Ergebnissen interessiert. Ihnen klarzumachen, dass bestimmte Projektzeit zur Erstellung von Publikationen notwendig ist, ist oft noch möglich. Ihnen aber begreifbar zu machen, dass sie dafür auch noch Publication Fees – die auch mal mehrere Tausend oder Zehntausend Franken betragen können – aufbringen sollen, scheint mehr als schwierig. (Das gleiche gilt für NGOs.)
- Das Ergebnis einer solchen Organisation von Publikationsmöglicheiten und Förderung kann nun sein, dass den Angehörigen der Universitäten, ETHs und Forschungsgemeinschaften weit mehr Möglichkeiten zu einer wahrnehmbaren Publikation (auch) im Open Access zur Verfügung stehen, als allen anderen Forschenden. (Dabei ist es nicht so, dass die Qualität der Forschung mit dem Angehören an solchen Einrichtungen erhöht oder niedriger wird, als wenn sie in Fachhochschulen durchgeführt wird. Sie ist stattdessen vor allem anders.)
- War es bislang anders? Schon, ein wenig. (Wenn auch selbstverständlich nicht perfekt.) Forschte man zum Beispiel freischaffend, dann konnte man den Text einfach bei einer (closed) Zeitschrift einreichen. Das kann man heute immer noch, aber nicht, wenn die wichtigen Zeitschriften auf dem eigenen Feld nur als durch Publication Fees finanzierter Open Access erscheinen (auch wenn das „nur“ die soziale Norm in einem Feld wird). Selbst wenn dies nicht der Fall ist, wachsen einfach die Publikationsmöglichkeiten der universitären Angehörigen weit mehr. Zudem: Entstehen mehr von den Einrichtungen selber betriebene Repositories, die relevant werden, sind auch wieder die Angehörigen dieser Einrichtungen im Vorteil. Die anderen Publikationen werden immer weiter marginalisiert werden.
Gleichwohl: Dies geschieht nicht absichtlich, etwas weil die Universitätsbibliotheken etwas gegen die Forschung an Fachhochschulen hätten. Aber – und deshalb ist Luhmann hier sinnvoll – es passiert systemisch bedingt. Sicherlich, es gibt Wege dem entgegenzusteuern: Man kann andere Formen von Repositories aufbauen (beispielsweise nationale), man kann sich Gedanken über andere Formen der Förderung der Publication Fees machen, man kann andere Formen von Open Access Zeitschriften oder Publikationen (auf dem Podium in Berlin war vor allem die Rede von Monographien, aber wir wissen selbstverständlich auch von der Tendenz zu den Mikropublikationen) vorantreiben. Wichtig ist aber bestimmt erst einmal, dass Problem zu thematisieren. Es scheint die Tendenz zu einem geschlossenen System vorzuliegen: Verlage, Universitäts- und ETH-Bibliotheken sowie die Forschungsförderung schieben Geld, Dienstleistungen, Angebote hin und her; immer mit dem Gedanken der bestmöglichen Unterstützung der Forschung. Aber gleichzeitig wird das Publikationssystem dabei immer mehr zu einem System, wo Forschung praktisch nur Bedeutung hat, wenn sie an den grossen Einrichtungen betrieben wird. (Wobei angemerkt werden muss: Systeme haben die Tendenz, sich abzugrenzen und selbstständig zu erhalten; aber das heisst nicht, dass sie damit immer erfolgreich sind. Genauso kann es mit dieser Entwicklung sein. Vielleicht entwickelt sich einfach eine Publikationskultur (und damit auch Diskussionskultur) „unterhalb“ der grossen Einrichtungen, die effektiv wichtiger wird, als das hier skizzierte System.)
Warum ist das wichtig? Einerseits weil sonst Forschungen, Ergebnisse und Debattenbeiträge, die erstellt werden, zum Teil nicht in den Diskurs einfliessen werden, was einen gesellschaftlichen Verlust darstellt (ganz abgesehen vom individuellen Verlust der Forschenden). Andererseits aber auch, weil es um Open Access geht. Die Vertreterin der Universitätsbibliothek Konstanz bemerkte auf dem Podium, dass es die Aufgabe von Open Access sein, dass allen alle Forschungen zugänglich sein sollen. Das aber ist nur ein Teil des Versprechens von Open Acccess. Das viel wichtigere Versprechen von Open Access (und zum Beispiel der Citizen Science) ist es, dass alle Wissenschaft machen können sollen. Dies wird unterlaufen, wenn auch im Open Access die Barriere zur Wissenschaft an der Zugehörigkeit zu grossen Forschungseinrichtungen gebunden wird.